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Waren Hitler und die NSDAP links?

von Lorenz Gösta Beutin

Ist Euch das auch schon passiert? Ihr schreibt auf „Social Media“ was gegen Nazis, aber irgendwelche Ottos hauen in die Tasten und schreiben Kommentare wie: „Aber Hitler und die Nazis waren links!“

Die „Jüdische Rundschau“ (gegründet 2014, nicht zu verwechseln mit der 1938 von den Nazis verbotenen Zeitschrift!) macht Nazis im Land gerade große Freude: „wieviel mehr links braucht man eigentlich noch in seinem Namen“ fragt sie zur NSDAP. Sie wärmt den kalten, übel riechenden Kaffee von Rainer Zitelmann (und Uwe Backes, Eckhard Jesse, Ernst Nolte) von Anfang der 1990er auf, Hitler sei ja „Sozialrevolutionär“ und damit links gewesen.

Dieser Geschichtsrevisionismus von rechts schien in der Geschichtswissenschaft nach dieser „neuen“ Historikerdebatte in den 1990ern gründlich erledigt, weil er einfach historisch bodenlos ist, sich auf der bloßen Erscheinungsebene bewegt.

Doch am Boden brodelten noch Reste des braunen Suds. Sie wurden in der sogenannten Neuen Rechten konserviert, in ihren Denkfabriken aus Neue angedickt. Mit dem Erstarken der AfD und ihres Umfelds erlebt diese historisierende Form der Geschichtsklitterung neuen Auftrieb.

Wer gegen Rechts auf Twitter Kommentare verfasst, bekommt es in die Kommentare gerotzt: „Hitler war ja ein Linker.“ Diese Form der deutschen Schuldabwehr hat Entlastendes. So kann man die deutsche Geschichte auf Rechts drehen, Linke für Auschwitz verantwortlich machen.

Der Zeitgeist dreht auf rechts, und Leute wie Rainer Zitelmann, die der „Neuen Rechten“ den Weg bereitet haben, wittern Morgenluft. Doch was ist da dran. Man kann es sich einfach machen und sagen: nichts. Das stimmt auch. Aber:

Rainer Zitelmann bewegt sich mit seinen Thesen auf der Erscheinungsebene. In seinen Thesen macht er Hitler zum „Revolutionär“ und die NSDAP zu einer sozialrevolutionären Partei. Tatsächlich haben beide Begriffe & Symboliken der Arbeiterbewegung übernommen, als eine Art Camouflage. Und in seinen Reden und Schriften entfaltet Hitler durchaus sozialrevolutionäre Ideen, wie sie etwa in der NS-Praxis in den KDF-Bädern und -Reisen ihren Ausdruck finden.

Doch sind diese sozialen Wohltaten begrenzt auf den „deutschen Volkskörper“, dienen letztlich der „Wehrertüchtigung“, dem Zusammenschweißen der „Volksgemeinschaft“. Aus dieser wird alles „Volksfremde“, das „Jüdisch-Bolschewistische“ hinausdefiniert und letztlich vernichtet – Auschwitz.

Was Rainer Zitelmann und seine Apologeten ignorieren, ist zum einen schlicht und einfach die Geschichte der völkischen Bewegungen, zum anderen die Realität des NS-Staates: Die völkischen Bewegungen hatten in ihrer Gründung als Kern Rassismus, Nationalismus, Militarismus – und vor allem Antisemitismus.
Das war das schon in Vorläufern aus der Zeit der antifranzösischen Befreiungskriege angelegt, es sei an die Bemerkung Heines zur „Bücherverbrennung“ erinnert. Sie hatten aber auch teils anti-feudale, Tendenzen. Hitler hat sich auf ihre Ideen & Autoren wie von Liebenfels in „Mein Kampf“, das eine wilde, inkonsistente Melange war, berufen. Bei der Machtübernahme hat sich die NSDAP auf die alten Eliten gestützt aus Kapital, Adel, Junkertum, Militär.

Aber es stimmt, Hitler hat mit Verachtung auf sie geblickt, der Faschismus war eine neue Bewegung, aus der völkischen hervorgegangen, ein Bündnis mit den alten Eliten eingehend, aber nicht mit ihnen identisch. In der Wirtschaftspolitik fand kein grundlegender Bruch mit kapitalistischen Prinzipien statt, im Gegenteil, man könnte von einer Brutalisierung kapitalistischer Wertlogik sprechen.

Die Praxis des deutschen Faschismus an der Macht war geprägt durch „Gleichschaltung“ (und Selbst-Gleichschaltung!), Raub und Mord, erst nach innen, dann auch nach außen. Das Programm von Welteroberung und Vernichtungskrieg war alles andere als antikapitalistisch oder gar egalitär, sondern ein historisch beispielloser Vernichtungsfeldzug gegen Aufklärung, Emanzipation, Demokratie, Freiheit. Es verdiente das deutsche Kapital, dessen Reichtum heute auf Zwangarbeit, Vernichtung, aus Strömen von Blut sich herleitet, man schaue doch nur die damaligen Positionen der KZ-Nebenlager und Zwangsarbeiterlager an. Sie liegen fast alle in der Nähe damaliger Fabrik- und Unternehmensstandorte.

Was die „Jüdische Rundschau“ verbreitet, ist hochgefährlich. Es ist in letzter Konsequenz die Apologie des Massenmords, die Befreiung der Deutschen von der historischen Verantwortung. Ich hoffe, es findet sich dort Einsicht über diesen unfassbaren Fehler, zweifle aber.

Zu Zitelmann und Seinesgleichen sei nur gesagt: Sie wittern jetzt wieder Morgenluft. Was in den 1990ern abgewehrt werden konnte, muss erneut widerlegt werden, die historischen Argumente und Quellen luegenAlle bereit. Das ist auch Aufgabe seriöser Geschichtswissenschaft.

Was Zitelmann und Co. betreiben, ist Geschichts- als ahistorsiche Legitimationswissenschaft, für den Weg der Republik nach rechts. Das ist nicht neu, aber nicht weniger gefährlich. Es erfordert unser aller Widerspruch.