Erste Gedanken nach der Europawahl 2024
Das Wahlergebnis der Europawahl ist katastrophal: für uns als Die Linke, auch für die gesamte gesellschaftliche Linke. Danke allen Wahlkämpfer*innen, den neuen und denen, die schon lange die rote Fahne hochhalten. Wenn der Faschismus in Europa an die Tür klopft, braucht es die klare Antwort von links ✊
Wir haben in den letzten Jahren zwei Entwicklungen gesehen: 1. Die Zunahme von Krisen (sozial, Klima, Krieg), Umverteilung auch durch Ampel von unten nach oben, 2. Die AfD, der es gelang, den gesellschaftlichen Diskurs zu verschieben: statt vertikal (oben/unten) wird horizontal gesprochen, als „wir gegen die“, auf unterschiedlichen Feldern.
Ihnen ist es grundlegend gelungen, kulturelle Hegemonie (Gramsci) in der Gesellschaft zu verschieben, auch indem andere Parteien dieses Spiel mitgespielt haben (Gendern, Abschiebungen, GEAS), anstatt das Feld zu wechseln.
Das ist in der Logik der Sache gerade bei Parteien wie CDU, SPD und Grünen auch schwer möglich (nicht unmöglich!), die Jahrzehnte der „Logik“ der Neoliberalen gefolgt sind: Konsequente Politik für die obersten 10 Prozent, Vereinzelung und Politikverdrossenheit für den Rest.
Gleichzeitig sind die sozialen Bewegungen seit Corona in der Defensive. Am härtesten sicher die Klimabewegung, die erstarrt ist in der strategischen Debatte zwischen dem Ritualismus von Fridays Form Future und dem verzweifelten, letztlich unpolitischen Appell von Letzte Generation.
Die Linke war immer dann stark, wenn die sozialen Bewegungen stark waren (ihr Gründungsimpuls rührt daher) und zumindest die Gegenhegemonie gesellschaftlich relevant war. Beides hat herbe Rückschläge in letzten Jahren erlitten.
Wir erleben Klassenkampf von oben, flankiert durch rechten „Kulturkampf“ (finde Begriff wenig treffend), der soziale Kämpfe durch horizontale Spaltungen ersetzt. AfD punktet bei (tendenziell männlich.) Wähler*innen mit eher niedrigem ökonom. Status, auch bei „Arbeitern“. Hier haben wir bei unserem klassischen Klientel Einbrüche erlebt.
Die Linke hingegen verliert auf breiter Flanke. Gerade weil wir unser Image in den letzten Jahren nachhaltig ramponiert, Streitpunkte zugekleistert haben. Allein Klarheit bei sozialer Gerechtigkeit, wenn alles andere zu unklar ist, reicht nicht aus.
Klar, der Konflikt mit Wagenknecht und der Russia-Today-Fraktion hat uns nachhaltig geschadet, weil wir es als Partei zu lange zugelassen haben, dass ein Gegenprojekt aus unserer Mitte mit unseren Ressourcen aufgebaut wird. Spätestens 2018 hätten wir Reißleine ziehen müssen.
Das alleine ist als Erklärung aber zu dürftig, die Probleme sind hausgemacht. Dass wir seit Oktober 5000 neue Mitglieder gewonnen haben, ist ein Pfund, das der öffentl. Wahrnehmung wiederspricht. Hier können wir anknüpfen.
Wenn wir der Ansicht sind, dass es in Zeiten des Rechtsrucks eine starke linke Gegenkraft braucht, müssen wir nicht weniger als die Partei wiederaufbauen, von Grund auf, inhaltlich, strategisch, auch personell.
Dazu ein paar Punkte:
- Klassenpolitik als Kern, der Gegensatz unten/oben statt horizontaler Spaltung.
- Keine Regression, kein Zurück hinter Internationalismus und Gleichheit.
- Strukturelle Erneuerung, etwa Mandatszeitbegrenzung, Sozialfonds usw.
- Antifaschistischer Kampf darf sich nicht in der Symbolik erschöpfen. Ohne gesellschaftliche Perspektive bleibt er hilflos.
- Partei muss Genoss*innen im Osten unterstützen in Wahlkämpfen, in Aufbauarbeit vor Ort. Dass der Osten nicht weiter abschmiert, ist zentral.
- Klassenpolitik muss konkret sein, erschöpft sich bei uns zu oft im Mantra. Was sind unsere zentralen Projekte als Partei? Etwa Vergesellschaftung/Wohnen, Umverteilung/Reichtum eindämmen, Klimaschutz gerecht und bezahlbar statt grüner Kapitalismus (oder fossiles Rollback).
- Das muss ein kollektiver Prozess als Partei sein, der an die Wurzel geht, bei dem es uns gelingen muss, all die neuen Genoss*innen einzubinden, aber auch die Mitglieder, die schon länger vor Ort mit uns kämpfen.
Ich plädiere dafür, uns des Begriffs der Gleichheit stärker anzunehmen bzw. des Kampfes gegen Ungleichheit. Es ist eine starke Abgrenzung nach rechts, aber auch zu Neoliberalen, lässt sich in vielen sozialen Kämpfen „spielen“. Ich werde das an andere Stelle noch ausführen.
Kurz und gut: Wir müssen uns von Grund auf erneuern, wieder als klare, linke Kraft und als soziale Alternative erkennbar sein. Wir haben dafür Anknüpfungspunkte und Hinweise und werden die Europawahl dazu sehr genau auswerten müssen. Schnellschüsse helfen da nicht.
Verbunden mit „Trotz alledem“, nicht als Besserwisserei oder „Kurs halten“, sondern aus Einsicht, dass es eine linke Gegenkraft braucht gegen Faschismus und den Klassenkampf von oben. Wir können das gemeinsam schaffen, streitbar und solidarisch.