photo 2021 12 30 18 47 34

Nicht zufällig, sondern systematisch wurde in den letzten 30 Jahren Politik für Reiche gemacht

Wir leben in einer Klassengesellschaft: In den letzten 30 Jahren sind „praktisch alle Entscheidungen den politischen Anliegen der oberen Einkommensklassen gefolgt… Der Eindruck im unteren Drittel, dass politische Entscheidungen auf ihre Bedürfnisse keine Rücksicht nehmen – der stimmt.“ So fasst Martina Zandonella vom österreichischen Blog kontrast.at die Ergebnisse einer Studie im Gefolge des „Armuts- und Reichtumsberichts“ der Bundesregierung zusammen.

Untersucht haben die Autor*innen Lea Elsässer, Svenja Hense, Armin Schäfer von der Universität Osnabrück in ihrer bereits 2016 erschienenen Studie „Systematisch verzerrte Entscheidungen“ den Zusammenhang zwischen politischen Auffassungen und Entscheidungen in den Jahren 1998 bis 2015: Egal wer an der Regierung war, dass eine politische Forderung umgesetzt würde, war wahrscheinlicher, je mehr Unterstützung sie bei den obersten zehn Prozent hatte.

So können wir viel über „Politikverdrossenheit“ sprechen – wenn es aber wissenschaftlich belegbar ist, dass die Regierungen in den letzten Jahrzehnten eine Politik für die Reichsten, gegen die Ärmsten gemacht haben, ist es nicht schwer zu verstehen, dass sich gerade die von der Demokratie abwenden, die immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. So ist feststellbar, dass die Wahlbeteiligung höher ist in den Gegenden, wo das Durchschnittseinkommen höher ist, niedriger, je mehr ärmere Menschen in einer Region leben. In Kiel beispielsweise lag die Wahlbeteiligung im eher wohlhabenden Bezirk Ravensberg/Brunswik/Düsternbrook bei 88 Prozent, im ärmeren Stadtteil Gaarden bei knapp über 50 Prozent. In der Logik liegt, dass auch Politik sich eher den Themen zuwendet, für die sich der wohlhabende Teil der Gesellschaft interessiert.

Hinzu kommt, dass sich alle Parteien, außer der Partei DIE LINKE, von Konzernen finanzieren lassen, Lobbygruppen eine gewichtige Stimme im Bundestag haben und auch Bundestagsabgeordnete nicht den Durchschnitt der Bevölkerung abbilden. So reproduziert sich die Klassengesellschaft immer aufs Neue, verstärkt sich die soziale Spaltung in unserem Land – und wird tendenziell immer mehr zur Gefahr für unsere Demokratie.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass eine Vermögenssteuer eine breite Zustimmung unter den Anhänger*innen sämtlicher Parteien hat (am stärksten bei denen von LINKEN und SPD), ihre Einführung aber weiter auf sich warten lässt, denn einzig bei den Wohlhabenden wird sie mehrheitlich abgelehnt. Aber wie wir wissen zählt ihr Wort in unserer Gesellschaft mehr.

Was ist also zu tun? Wir sollten uns nicht nur auf Sozialpolitik, auf Korrekturen hier und dort beschränken, sondern diese Wahrheit, dass wir in einer Klassengesellschaft leben, häufiger aussprechen – um auf Perspektive daran etwas zu ändern, denn das ist letztlich eine Frage, bei der es um die Existenz unserer Demokratie geht.

 

Weiterführende Informationen:

Der Link zur Studie „Systematisch verzerrte Entscheidungen?“: http://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/SharedDocs/Downloads/Service/Studien/endbericht-systematisch-verzerrte-entscheidungen.pdf?__blob=publicationFile&v=2

Das erwähnte Interview aus dem Blog „kontrast.at“: https://kontrast.at/demokratiemonitor-2021-zandonella/?s=09

Dank an Daniel Reitzig für den Hinweis auf die wichtige Studie.