Unbenannt

Interview in „junge Welt“ zum Dannenröder Wald

»Das wirkt wie das Szenario in einem Endzeitfilm«

Als parlamentarischer Beobachter im Dannenröder Forst. Rodung weit fortgeschritten.Ein Gespräch mit Lorenz Gösta Beutin
Interview: Gitta Düperthal

Sie waren als parlamentarischer Beobachter von Donnerstag bis Sonnabend im Dannenröder Wald, wo viele Menschen Widerstand gegen die zur Räumung angetretene Polizei leisten. Ziel ist, die Rodung des Waldes für den Weiterbau der A 49 zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Wie ist die aktuelle Lage?

Einige Baumhäuser und Plattformen sind noch vorhanden. Am Wochenende kamen wieder viele Aktivistinnen und Aktivisten, um auf der geplanten Trasse neue Bäume zu besetzen. Jedoch wurde bereits viel gerodet. Außerhalb des Waldes hat die Polizei eine Festung aufgebaut, umrandet von einem Zaun mit NATO-Stacheldraht, wo riesige Container, ihre Logistik, Wagen, Hebebühnen und weitere Gerätschaften stehen. Eine mit Schotter befestigte Trasse frisst sich immer weiter in den Wald hinein, um darauf hin- und herfahren zu können. All das wirkt wie ein apokalyptisches Szenario in einem Endzeitfilm. Immerhin habe ich während der drei Tage, in denen ich im Wald war, keine Situation mitbekommen, in der Sicherungsseile durchgeschnitten und Menschen auf diese Weise schwer verletzt wurden. Dass dies zuvor geschah, hat mich entsetzt. Oberster Schutz muss Menschenleben und Gesundheit gelten. Schlimm genug, dass die Material- und Personalschlacht der Polizei das Infektionsgeschehen während der Pandemie steigert. Das zeigt, was die hessische CDU/Grünen-Landesregierung bereit ist zu riskieren, um diese Autobahn mit aller Kraft durchzusetzen. Ich habe den Eindruck, dass Bündnis 90/Die Grünen kein Interesse am Rodungsstopp hat, sondern den Einsatz so schnell wie möglich beenden will, damit der ihnen nicht den Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr verhagelt.

Was sehen Sie als parlamentarischer Beobachter als Ihre Aufgabe an?

Wir, die linke Bundestagskollegin Sabine Leidig, Abgeordnete der linken Landtagsfraktionen und ich, kümmern uns darum, dass deeskaliert wird und sich auch die Polizei an Recht und Gesetz hält. Wir dokumentieren den Einsatz mit Fotos und Videos, reden mit Aktivistinnen und Aktivisten, und weisen die Polizei darauf hin, wenn ihr Vorgehen unverhältnismäßig wird. Polizisten agieren vorsichtiger, wenn wir bei der Räumung zusehen. Wir sind in unserer Rolle als parlamentarische Beobachter neutral, haben aber als Linke einen klaren Standpunkt: Wir wollen eine radikale Verkehrswende und den Stopp des Autobahnausbaus.

Wer heute noch Wälder abholzt, um Autobahnen zu bauen, sei nicht im Jahr 2020 angekommen, sagte Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei Die Linke. Trotzdem begeistert Ihre Partei die jungen Klimaaktivistinnen und -aktivisten nicht wirklich. Was macht sie falsch?

Wir erfahren jetzt viel Sympathie. Allerdings hat Die Linke das Thema soziale Gerechtigkeit lange Zeit zu eng ausgelegt. Erst durch den Druck von »Fridays for future« und der Umweltbewegung im Hambacher Forst 2018 sind viele aufgewacht. Auch beim Thema Hartz IV hatte es gedauert, bis die Linke sich eine glaubwürdige Position erarbeitet hat.

Nicht alle sind in dieser Frage so aktiv wie Sie. Sind die Mehrheiten in der Linken doch andere?

Unsere Bundestagsfraktion hat einmütig einen Aktionsplan Klimagerechtigkeit verabschiedet. Beim letzten Bundesparteitag war zu sehen, dass Die Linke sich bewegt. Emanzipatorische Themen wie Migration, Flüchtlingssolidarität, Antirassismus, Feminismus und Umweltpolitik gegenüber der Klassenfrage ausspielen, ist Unfug. Klassenpolitik ist umfassender als nur Lohnpolitik. Es muss durchdringen, dass weltweite Klimapolitik die zentrale soziale Frage unserer Zeit ist. Eine Linke, die darauf keine Antwort hat, hätte keine Zukunft. Wir ringen darum.

Nach der Enttäuschung, dass die Grünen den Wald roden lassen, obgleich sie in Hessen in der Regierung sitzen und das Desaster beenden könnten, haben sich die Aktiven der Klimabewegung aber nicht massenhaft der Linkspartei zugewandt.

Wir sind mittlerweile die Partei mit den meisten Mitgliedern unter 30 Jahren und haben Neueintritte zu verzeichnen. Wir müssen beharrlich zeigen, wie ernst wir es mit der Klimagerechtigkeit meinen.

In den Umfragen spiegelt sich das bislang nicht.

Die Linke ist die einzige Partei, die glaubwürdig vertreten kann, dass es nicht reicht, den Kapitalismus etwas grüner anzumalen. Die Vision, ihn zu überwinden, müssen wir in den Vordergrund stellen, wenn wir die Klimakrise bewältigen wollen.