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„Ob ich nun sage „Du N***“ oder „Du POC“ spielt keine Rolle“

Wolfgang Kubicki, FDP, hat ein Buch geschrieben, das den Titel „Meinungsunfreiheit“ trägt. Er könne sich an „keine Phase der Bundesrepublik erinnern, in der es um die Meinungsfreiheit so schlecht bestellt war, wie heute.“ Er meint, es sei egal, ob er sage „Du N**r“ oder „Du POC“, entscheidend sei, ob er damit die Menschenwürde seines Gegenübers beeinträchtigen wolle. Auch über die Nutzung des „Gendersternchens“ macht er sich lustig, sie könne letztlich zur „gegenteiligen Reaktion“, nämlich zu weniger Gleichberechtigung, führen. Beides führt er als Beispiel einer „Sprachpolizei“ an, die zur „Diskriminierung“ derjenigen führe, „die anderer Auffassung sind.“

Es ist gut, dass Dietmar Bartsch bei der Buchvorstellung widerspricht und betont, es habe noch nie mehr Meinungsfreiheit gegeben. In der Tat gab es unter Adenauer oder zur Zeit der Berufsverbote Phasen, in denen abweichende Auffassungen weitaus regider sanktioniert wurden. Worum geht es also?

Wir erleben einen Kampf um die politische Kultur in unserem Land, um den Raum des Sagbaren, der zwar oberflächlich eine Auseinandersetzung um Begriffe ist, real aber der, wohin unsere Gesellschaft steuert. Im Kern ist es der Kampf um die gesellschaftliche Hegemonie. Pegida, die AfD, die BILD und co. haben die Debattenkultur nach rechts verschoben: Alle Studien seit den 1990ern haben ein relativ gleichbleibendes rassistisches Potential gezeigt, das aber eher unter der Oberfläche gehalten wurde, latent war. Mit dem Anspruch „Das wird man doch noch mal sagen dürfen“ hat sich dieses rassistische Potential immer offener gezeigt, die Grenzen des Sagbaren wurden immer weiter verschoben, so dass der Aufschrei über die Morde von Halle und Hanau oder einen Pressesprecher, der sich vorstellen kann, Migrant*innen zu ermorden oder zu vergasen, relativ schnell wieder verstummt.

Die rechte Gegen-Aufklärung bedient sich dabei sprachlicher Platzhalter, um ihre menschenfeindliche Gesinnung deutlich zu machen. Sie versucht zu suggerieren, wir lebten in einer „Merkel-Diktatur“, die Meinungsfreiheit sei gefährdet. Real ist es so, dass eine mehr oder minder misslungene Satire über die „Umweltsau“ zum Anlass genommen wird, den gesamten Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk abschaffen zu wollen, der Aufschrei aber groß ist, wenn Rassismus und Antisemitismus kritisiert werden. Meinungsfreiheit wird so etwas wie „Ich möchte meine Meinung öffentlich sagen können, und erwarte, dass ich dafür nicht kritisiert werde.“

Kubicki springt auf diesen Zug auf, wenn er den Begriff der „Sprachpolizei“ aus rechten Diskursen kritiklos übernimmt und die These aufstellt, es herrsche „Meinungsunfreiheit“. Als Beispiele wählt er gerade das N-Wort und den Gender-Star, zwei Hassobjekkte der „neuen Rechten“, die eigentlich die alte ist. Kubicki geht dabei im Kern von einer Neutralität von Sprache aus.

Tatsächlich ist es so, und genau bei diesem „Spiel“ macht Kubicki mit, dass Sprache immer Austragungsort von Machtkämpfen ist, dass durch Sprache Macht ausgeübt wird, und vor allem: dass sich in der Sprache, in ihren Begriffen, auch die Geschichte von Herrschaft und Unterdrückung niederschlägt. So ist die Geschichte patriarchaler Herrschaft nicht nur in unsere gesellschaftlichen Strukturen (Gesetze, Medizin, Gebräuche, Lohngefälle…) eingeschrieben, sondern bildet sich im Gegensatz von „männlich“/herrschend, „weiblich“/beherrscht ab. Der ausschließlich Gebrauch der männlichen Wortform ist so ein Relikt. Ich mache Euch mal den Vorschlag, in einer Runde, in der der Gender-Star verächtlich gemacht wird, einfach mal vorzuschlagen: „Ok, Deal, dann benutzen wir jetzt 1000 Jahre mal ausschließlich, überall nur die weibliche Form, quasi als Wiedergutmnachung!“ Macht Euch auf einen Sturm der Entrüstung gefasst.

Auch das N-Wort ist sprachlich gefasste Geschichte von Herrschaft, Unterdrückung, Mord. Es trägt in sich die Geschichte von Sklaverei und Rassismus. Und diese Geschichte ist nicht vorbei, weder in den USA, weltweit, noch in Deutschland. Und wenn ich Gefahr laufe, mit der Nutzung rassistische Begriffe Personen zu verletzen, warum sollte ich es dann nicht einfach lassen? Was spricht gegen eine bewusste Nutzung der Sprache, dagegen, sich etwas Mühe beim täglichen Umgang miteinander zu machen.

Und dass wir uns nicht falsch verstehen: Weder durch eine geschlechtergerechte Sprache noch mit einem Verzicht auf Rassismus in der Sprache verschwinden Patriarchat oder Rassismus, das bleibt ein täglicher Kampf. Aber der (geschichts-)bewusste Sprechakt trägt vielleicht ein ganz klein wenig dazu bei, den Feinden von Demokratie und Aufklärung die eine oder andere kleine Niederlage zu bereiten. Und das ist doch auch schon ganz schön ?

PS: Mit der gleichen Argumentation, wie Kubicki versucht, das N-Wort zu retten, kann man für die Beibehaltung antisemitischer Begriffe sprechen