53 Prozent der Deutschen meinen, es sei Zeit für einen Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit im Nationalsozialismus. Aber 77 Prozent finden, gerade aktuell sei es wichtig, an die Zeit des deutschen Faschismus und den Holocaust zu erinnern. Kurz vor dem 75. Jahrestag der Befreiung hat die „Zeit“ eine spannende Umfrage (siehe Kommentare) über die Haltung der Deutschen zu diesem Thema veröffentlicht. Drei Beobachtungen möchte ich mit Euch teilen:
1. Bei der großen Mehrzahl der Fragen wird deutlich, dass die jüngere Generation ein stärkeres Interesse an der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit hat. Zudem wächst die Ablehnung eines Schlussstrichs und verharmlosender Positionen mit dem konkreten Wissen um die Geschichte.
2. Es ist zu beobachten, dass die Ablehnung von NS-Verharmlosung, Schlussstrich und Antisemitismus im Osten, auch 30 Jahre nach Ende der DDR, größer als im Westen ist, jeweils wenige Prozentpunkte, aber immerhin. Das widerspricht der aktuellen Wahrnehmung und den Wahlergebnissen der AfD im Osten. Gibt es eine schweigende Mehrheit im Osten, die eingeschüchtert ist, oder wie lässt sich das erklären?
3. Was sich in vielen Umfragen vorher gezeigt hat, sieht man auch hier: Die Anhänger*innen der LINKEN sind gemeinsam mit denen der Grünen am stabilsten antifaschistisch (beide Parteien sind da im Wechsel immer recht nah beieinander). Antifaschismus gehört zum Kern linker Politik, da gibt es kein Wanken. Der Gegenpart ist die AfD. Dort gehen die Positionen soweit, dass sogar eine deutliche Mehrheit ihrer Anhänger*innen meint, der deutsche Faschismus hätte auch „gute Seiten“ gehabt.
Insgesamt kann ich mir die Zustimmung zum „Schlussstrich“ nur so erklären, dass es das Missverständnis gibt, es sei damit so etwas wie persönliche Schuld verbunden. Für diese Deutung spricht, dass Drei Viertel sich gerade angesichts aktueller Entwicklungen dafür aussprechen, die Erinnerung wachzuhalten. Die, die in der öffentlichen Debatte einem „Schlussstrich“ das Wort reden, sind die, die auch die Verantwortung, das Nie wieder, ablehnen. Insofern ist die Grundlage dafür, dass NS-Zeit und Holocaust nicht vergessen werden, das Verständnis für und das Wissen um das Geschehene. In einer Zeit, in der nur wenige Zeugen uns noch erhalten geblieben sind, ist es an uns, die Erinnerung wachzuhalten und die Flamme des Antifaschismus weiterzutragen.
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Zum Foto (Zitat Wikipedia):
„Vermutlich zeigt das Bild die Hinrichtungen von Juden durch Einsatzgruppen nahe Ivangorod in der Ukraine. Das Foto wurde von der Ostfront nach Deutschland geschickt, und in der Warschauer Post von der polnischen Widerstandsbewegung abgefangen. Das Original hat auf der Rückseite die Beschriftung „Ukraine 1942 – Judenaktion in Iwangorod“. Das Foto befand sich im Besitz von Tadeusz Mazur und Jerzy Tomaszewski und liegt jetzt im Historischen Archiv Warschau. Es ist über das Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Bildnummer 30011071 und das Ullstein-Bildarchiv verfügbar.“