In der FAZ habe ich in einem Gastkommentar aufgeschrieben, warum Sozialismus nur grün geht. Aber lest selber:
Das Jahr 2019 wird als das Jahr der Klimabewegung in die Geschichtsbücher eingehen. Die Schulstreiks von „FridaysForFuture“, Blockade-Aktionen von Kohlebaggern, Automessen und Straßen durch die Klimabündnisse von „Ende Gelände“ und „Extinction Rebellion“ haben den scheinbar alternativlosen Routinebetrieb von Regierung und Wirtschaft schlagartig aus der neoliberalen Kuschelzone gerissen.
Vorläufiger Höhepunkt der Klimaproteste nach einem weiteren Hitzerekord-Sommer und der Ausrufung des Klimanotstandes durch eine Handvoll deutscher Städte und Gemeinden war der globale Klimastreik Ende September gegen das Klimakoma der großen Koalition. Fast 1,5 Millionen Menschen strömten von Kiel über Berlin bis München auf die Straße: Deutschlands größte Demonstration seit 1945. Zuletzt hat es Siemens mit dem Bürgerprotest gegen die weltweit größte Kohlemine im brennenden Australien zu spüren bekommen: Business as usual ist Vergangenheit.
Derweil ist die Linkspartei auf der Suche nach ihrer Zukunft. Der Traum vom Aufstand der Massen für eine gerechte Welt ist im Karl-Liebknecht-Haus nicht ausgeträumt. Und doch stehen die Genossinnen und Genossen bei der Klima-Protestparty mehr oder weniger bedröppelt am Rande. Reiben sich die Augen, warum niemand mit ihnen tanzt, während bei der grünen Konkurrenz die Bio-Sektkorken knallen. Dabei ist es nicht so, als hätte die Linke keine Ökologie im Angebot. Ganz im Gegenteil, in Partei- und Wahlprogrammen stehen regelmäßig deutlich stärkere Klimaschutz-Ziele als bei den Grünen, von den anderen Mitbewerbern ganz zu schweigen. Ein linker Masterplan für eine Gesellschaft ohne Öl, Gas und Kohle, frisch von der Bundestagsfraktion ausgearbeitet, wird von Umwelt- und Sozialverbänden, Gewerkschaften und Wissenschaft in hohen Tönen gelobt.
Leider weiß das kaum jemand. Denn ohne linke Lautsprecher, die den Kohleausstieg bis 2030, ein Ende des fossilen Verbrennungsmotors für Neuwagen ab 2030, kostenfreien ÖPNV, Deutsche Bahn, Wohnungen und Energieversorgung in Bürgerhand ohne Strukturbrüche, Arbeitsplatzvernichtung und neue Ungerechtigkeiten immer und immer wieder auf die Tagesordnung setzen, ohne breite Propaganda helfen auch die besten Programme nichts. Es gibt weder neue Mitglieder noch mehr Stimmen, wenn niemand mitbekommt, dass die Roten auch grün können.
Aber wollen die Roten auch grün? Muss man sich nicht auf den „Markenkern soziale Gerechtigkeit“ konzentrieren? Einige erklären, Umweltzerstörung und Klimakrise seien wie Migration und Rassismus, Patriarchat und Genderfragen ein Nebenwiderspruch. Wenn der Hauptwiderspruch, die Ausbeutung des Menschen durch die Kapitalisten, erst einmal überwunden sei, könne der Planet im Nachgang bewahrt werden. Andere interpretieren wie Marx: In komplexen Geschichtsprozessen, und die Dekarbonisierung der Volkswirtschaft ist eine historische Menschheitsaufgabe, hätten wir es auch mit einer komplexen Beziehung von Widersprüchen zu tun. Die vulgärmarxistische Annahme vom alleinseligmachenden Hauptwiderspruch (an deren Festhalten der real existierende Staatssozialismus intellektuell verkümmerte und auch darum scheiterte) ist für eine Linke auf der Höhe der Zeit nur eines – nämlich hinderlich. Feminismus, Antifaschismus, Kämpfe um Freiheit und soziale Gerechtigkeit, die Verteidigung der Demokratie dürfen genauso wenig gegeneinander ausgespielt werden, wie klar sein muss: Wer die Ausbeutung des Menschen überwinden will, muss auch an die Ausbeutung der Natur durch den Menschen ran. Zeitgleich, nicht nacheinander.
Anders gesagt, Soziales und Ökologie müssen zusammenkommen. Klimabewegung und Linke nennen das Klimagerechtigkeit. Die Klimakrise ist ein Brandbeschleuniger sozialer Ungerechtigkeit. So wie der Kapitalismus einige wenige Jackpot-Gewinner auf Kosten vieler Verlierer hat, so sind die Nieten auch in der Klimakrise ungleich verteilt. Es ist nicht die arme Kleinbäuerin in Mali, die für Hitze von über 50 Grad verantwortlich ist. Die Klimakrise haben Industriestaaten und ihre Konzerne verursacht, nach Amerika, China und Russland hat kein Land der Welt so viel CO2 ausgestoßen wie Deutschland. Es ist nicht der syrische Uber-Fahrer in Berlin mit drei Kindern, der schuld ist am Dieselmotor mit Betrugs-Software, sondern die Autohersteller, die ihr schmutziges Geschäftsmodell weiter verteidigen. Nicht die Nachbarin mit Ölheizung im Keller muss Buße dafür tun, dass Heizöl wegen falscher Politik billig und Ökostrom teuer ist. Der Kohlekumpel hat es sich nicht ausgesucht, dass er im Bergwerk mehr verdient als ein radfahrender Essenskurier mit Hungerlohn. Keine Lehrerin, die im stressigen Schuljob zu große Klassen unterrichtet, kann etwas dafür, dass das Flugticket nach Ibiza für den wohlverdienten Urlaub billiger ist als eine Bahnfahrt nach Rügen. Es gibt eben kein ökologisches Leben in einem System, das Mensch und Natur gleichermaßen ausquetscht. Darum ist Klimapolitik immer Klassenpolitik und kein Verrat an der arbeitenden Bevölkerung. Im Gegenteil. Will die Linke in Zukunft eine Rolle spielen, muss sie endlich klare und laute Antworten auch in der Klimapolitik geben. Sozialismus geht nur grün.
Der Beitrag erschient als Gastkommentar „Mit fremden Federn“ in der FAZ (17. Februar 2020).