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Interview DISPUT: Klimagerechtigkeit: Ein zentrales LINKES Thema

Im Interview mit der DISPUT, dem Mitgliedermagazin der Linken, spricht Lorenz Gösta Beutin über den notwendigen Druck der Bewegung,

die Rolle der Grünen und echte linke Klimapolitik

Woran arbeitest du gerade?

Wir haben jetzt den ersten roten Leitfaden für Klimagerechtigkeit verabschiedet, wir machen Klimaschutz zum zentralen Thema. Der Großteil der Fraktion hat verstanden, dass Klimagerechtigkeit auch ein LINKES Thema ist, weil es da im Kern um die soziale Frage geht.

Hat das gedauert?

Ja klar. Es gab eine Beschränkung der sozialen Frage auf Themen der Arbeitswelt, Fürsorge, Hartz IV – Klimaschutz wurde eher als grünes Thema begriffen. Aber: Es reicht nicht, den Kapitalismus grün anzustreichen, sondern wir müssen an die Wurzeln. Wir sagen, es bringt nichts, alles dem Markt zu überlassen, sondern wir brauchen klare Regelungen, die für alle gelten. Die sich die Gesellschaft gibt und aus der sich nicht Einzelne mit viel Geld rauskaufen können.

Wie hat sich diese Erkenntnis in der Partei durchgesetzt?

Ich glaube, das ist das zentrale Verdienst der Klimabewegung. Ohne die Proteste im Hambacher Forst, den Dürre-Sommer, ohne »Ende Gelände« und »Fridays for future« wäre das nicht so gewesen. Das ist kein Erkenntnisprozess, der von sich aus entstanden ist, sondern weil es den Druck gab. Und das stützt meine These: Linke Politik, die etwas verändern will, braucht immer den Druck sozialer Bewegungen.

Das hat auch die gesellschaftliche Diskussion verändert…

Es wird endlich wieder über Alternativen geredet. Der Slogan »System change, not climate change« ist nicht besonders konkret, aber deutet an, dass in unserer Gesellschaft grundsätzlich etwas passieren muss. Die These des Neoliberalismus, dass es keine Alternative gibt, ist tot. Und DIE LINKE tut gut daran, jetzt viel zukunftsorientierter zu diskutieren, wie eine solidarische Gesellschaft in diesen Bereichen aussehen kann.

Wie kann das aussehen?

Ich weiß nicht, ob es mehr Radikalität braucht. Auf jeden Fall brauchen wir mehr konkrete Vorschläge, wie es funktioniert. Und eine Erzählung, wie wir unsere Gesellschaft grundlegend gesünder, gerechter, friedlicher, menschlicher gestalten. Den alten Konzepten der Bundesregierung müssen wir etwas entgegensetzen. Die kommt mit dem gleichen alten Zeug: mehr Marktwirtschaft; Markt und Technik wird das alles regeln. Das hat nicht funktioniert und wird es auch zukünftig nicht.

Wieso reichen die klimapolitischen Forderungen der Grünen nicht aus?

Ein Teil der Grünen will mit der CDU ins Bett. Wer aber mit der CDU koalieren will, kann keine weitreichenden Forderungen im Klimaschutz stellen. Wir sagen, wir müssen auch grundsätzlich die Frage des Eigentums, die Frage der öffentlichen Verfügung stellen. Wir bringen auch das Ordnungsrecht wieder in die Debatte. Da sehen wir dann auch die Punkte, wo wir unseren Kern und unsere Definition über die soziale Frage einbringen können. Das ist eine Lücke in der öffentlichen Diskussion, da wollen wir rein. Und deutlich machen: Das ist ein LINKES Thema!

Wie läuft die praktische Zusammenarbeit?

Insgesamt funktioniert es im Parlament, weil die Politik der Bundesregierung einfach so schlecht ist. Aber wenn’s um die konkreten Alternativen geht, müssen wir linke Aspekte stärker herausstellen und konkrete Vorschläge erarbeiten. Und dem CO2-Preis als Ablasshandel einen Riegel vorschieben. Das ist keine Perspektive: Dass diejenigen, die viel Geld haben, nach diesem Klimapaket durch die Erhöhung der Pendlerpauschale mehr Geld haben. So sorgt dieses Klimapaket dafür, dass sozial nochmal umverteilt wird – aber von unten nach oben.

Das heißt, auf die Grünen ist kein Verlass?

Ein Beispiel: Es gibt einen Deal auf EU-Ebene zwischen Juncker und Trump, mehr Fracking-Gas aus den USA zu importieren. Das ist der Kuhhandel gewesen, damit Trump auf Autozölle verzichtet. Der Import von Fracking-Gas aus den USA ist in diesem Jahr um 300 Prozent angestiegen. Europa wird mit Gas überschwemmt. Und das, obwohl die Klimaziele vorsehen, den Gasverbrauch zu reduzieren. Das gefrackte LNG-Gas ist dreckiger als Braunkohle. Leider haben alle Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung dem im Bundesrat zugestimmt.

Was kritisierst du noch am Klimapaket?

Zum einen, dass Maßnahmen für energetische Sanierung rausgestrichen wurden. Wenn man die Klimaziele einhalten will, muss das einfach laufen und das geht nur sozial gerecht. Zum anderen: Verkehrsminister Scheuer weigert sich zu erklären, wie er CO2 einsparen will und redet von Technologie-Offenheit. Die IG Metall hat neulich klar gesagt: Wer jetzt für Technologie-Offenheit eintritt, will keine Verkehrswende. Es ist einfach Wahnsinn, was im Verkehrsbereich abläuft: Die Bahn wird ausgebremst, der öffentliche Nachverkehr nicht ausgebaut und der Bundesverkehrswegeplan 2030 sieht sogar einen Zuwachs von motorisiertem Individualverkehr und LKW-Verkehr vor. Wir sagen: Es geht uns nicht nur um eine Antriebswende, sondern um eine echte Verkehrswende. Also auch eine Reduktion des Individualverkehrs.

Das klingt nach einem neuen Schwerpunkt …

Ich glaube, Verkehrspolitik wird ein ganz zentrales Kampffeld. Weil wir eben in Deutschland auch in einem automobilen Kapitalismus leben. Automobilität ist in älteren Generationen sehr gefühlsbesetzt. Und das schon den Charakter eines Fetischs hat: Das Auto als Liebesobjekt.

Wie kann man das ändern?

Für die meisten jungen Menschen ist das ein Gebrauchsgegenstand, wenn überhaupt. Gäbe es die Möglichkeit, würden viele sicher auf ein Auto verzichten. Und es ist eine Frage, ob du Politik machst, die vorangeht. Die Schweiz hat 1987 entschieden, einen Großteil der PKW-Steuern in die Verkehrswende zu stecken und jedes Dorf über 100 Einwohner ans Verkehrsnetz angeschlossen. Das heißt, wir brauchen auch den Mut zu weitreichenden Entscheidungen.

Wo willst du noch ran?

An die Eigentumsfrage. Wenn die Bundesregierung das umsetzt wie geplant, wird es keinen Windkraftausbau an Land mehr geben. Offshore-Anlagen gehören in der Regel Großkonzernen. Und die Frage ist nicht, absurdere Abstandsregelungen zu machen, sondern Akzeptanz zu schaffen und Bürger*innen einzubeziehen. Und das dritte wird bezahlbarer Wohnraum, und in dem Kontext Sanierungen. Wo der Staat durch den Privatisierungswahn Gestaltung aus der Hand gegeben hat. Wenn die Gesellschaft die Kontrolle darüber verliert, was diskutiert und vorangebracht werden müsste, hat sie ein Problem. Also es geht auch grundsätzlich darum, neoliberales Denken infrage zu stellen.

Öko, Klima, Umverteilung – ein Großstadtthema?

Ich halte das für falsch, dieser Wahrnehmung müssen wir als LINKE auch entgegenwirken. Wir sehen inzwischen in vielen Bundesländern konkrete Auswirkungen des Klimawandels. Beispielsweise in Brandenburg: Die Verödung von Äckern, die zu Wüsten werden, weil die fruchtbare Schicht abgetragen wird durch Wind, Starkregen. Auch in diesem Sommer wurde das Grundwasser knapp. Dann geht es um Landwirtschaft, Bäuer*innen werden getroffen. Und gerade beim ÖPNV sieht man ganz deutlich: Wenn man die Alternativen nicht in die Region bekommt, wird es mit der Verkehrswende schwierig.

Was erwartet uns im kommenden Jahr in Sachen Klimagerechtigkeit?

Wenn’s gut läuft, kommen wir mit dem Aktionsplan Klimagerechtigkeit in die Debatte. Die Klimabewegung verbündet sich mit den Gewerkschaften, die erkannt haben, dass nichts an einer gerechten Transformation vorbeiführt. Sonst werden wir irgendwann chaotische Zustände haben. Und in so einer Situation sind es immer soziale Rechte, Rechte von Arbeitnehmer*innen und die Rechte der Schwächsten, die hintenüber fallen. Das ist kein Witz, wenn die Vereinten Nationen von einer Klima-Apartheid warnen. Und sagen: Wenn es jetzt so läuft wie es gerade läuft, steuern wir auf eine Erwärmung von vier bis fünf Grad zu. Die, die es sich leisten können, bauen dann ihre Mauern und die anderen fliehen vor der Klimakrise. Es setzen sich die Stärksten und Kapitalmächtigsten durch. Das sind die Verhältnisse, die wir verhindern müssen. Deswegen ist das Thema der gerechten Transformation so wichtig.

Interview: Nina Rink