Sören Christian Reimer
Herr Beutin, dass Ihre Fraktion nicht viel vom Klimapaket der Koalition hält, ist bekannt. Darum mal anders herum gefragt: Was gefällt Ihnen denn am besten an dem Paket?
Am besten ist, dass es zum ersten Mal ein Klimaschutzgesetz geben soll. Damit werden Minderungsziele für die einzelnen Sektoren beziehungsweise Ministerien festgelegt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Bisher gab es nur die Klimaschutzziele der Bundesregierung. Anlässlich der Klimaklage von Greenpeace wurde gerichtlich nochmals festgestellt, dass diese Ziele nicht verbindlich sind, sondern nur eine Absichtserklärung darstellen. Darum ist Rechtsverbindlichkeit für solche Klagen gut.
Das klingt nicht danach, als hätten Sie die Hoffnung, dass der von der Bundesregierung vorgesehene Überprüfungsmechanismus funktioniert.
Da sind wir sehr skeptisch. Es gibt keinen wirklichen Sanktionsmechanismus, außerdem soll es möglich sein, die Budgets zwischen den Ministerien zu verrechnen. Zudem besteht die Gefahr, dass das Ganze durch den Zukauf von Emissionsrechten aus dem Ausland abgegolten wird als eine Art Ablasshandel. Real wäre damit wenig gewonnen.
Was ist aus Ihrer Sicht die schlimmste Fehlentwicklung des Klimapakets?
Das sind viele Punkte – ich nenne zwei. Erstens: Man verabschiedet ein Klimapaket, von dem man weiß, dass es nicht reicht, um die Klimaziele 2030 zu erreichen. Der zweite Punkt sind die absurden Abstandsregelungen für die Windkraft. Selbst ein vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten, das unter Verschluss gehalten werden sollte, aber durchgestochen wurde, sagt aus, dass mit dieser Regelung die Windkraft an Land in Deutschland quasi tot ist. Dadurch werden zusätzlich zu den 37.000 Arbeitsplätzen, die wir in dem Bereich seit 2017 verloren haben, weitere zehntausende Arbeitsplätze gefährdet.
Der CO2-Preis im Verkehr soll moderat ausfallen und weit unter den Forderungen der Umweltverbände liegen. Die Koalition argumentiert, so die Belastung der Bürger zu begrenzen. Das dürfte der Linken doch gefallen, oder?
Dieser CO2-Preis ist unwirksam. Wir wissen, dass ein CO2-Preis im Verkehrsbereich erst ab 100 Euro pro Tonne wirken würde. Das wäre aktuell aber sozial ungerecht. Menschen mit geringem Einkommen, die kaum Steuern bezahlen und mangels Alternativen pendeln müssen, werden über die höheren Benzinpreise über Gebühr belastet. Auf der anderen Seite werden Menschen mit hohem Einkommen, die viel über die erhöhte Pendlerpauschale absetzen können, über Jahre hinaus entlastet. Das verschärft die soziale Spaltung im Land weiter. Ein Mobilitätsgeld, wie wir es fordern, wäre da sozial deutlich gerechter. Außerdem ist der Gesetzentwurf dazu wahrscheinlich verfassungswidrig.
Ihr Wahlkreis in Schleswig-Holstein ist ländlich geprägt, viel Alternativen zum Pendeln gibt es dort nicht. Wie soll dort klimafreundliche Mobilität funktionieren?
Es fehlt ein grundsätzliches Umdenken. Eine reine Technikwende vom Verbrennungsmotor hin zu elektrischen Batterieantrieben wird nicht reichen. Wir brauchen einen starken Rückgang des motorisierten Individualverkehrs. Das geht nur mit einem massiven Ausbau des ÖPNV und einer Stärkung der Bahn, aber auch Rufbusse und Car Sharing. Viele Menschen können sich gar nicht vorstellen, wie eine Gesellschaft den Verkehr anders planen könnte: In der Schweiz wurde 1987 entschieden, aus den Auto-Steuern die öffentliche Infrastruktur zu finanzieren und jede Ortschaft über 100 Einwohner an den ÖPNV anzuschließen. Dafür bräuchte es hier aber eine Regierung mit Mut in der Verkehrspolitik. Wir erleben aber seit Jahrzehnten einen unfähigen Verkehrsminister nach dem anderen.
Die Ankündigung von Tesla, in Brandenburg eine E-Auto-Fabrik aufzubauen, ist für Sie dann kein großer Gewinn?
Doch, allerdings ist Tesla auch dafür bekannt, keine guten Arbeitsbedingungen zu haben und gewerkschaftsfeindlich zu sein. Wenn wir die Transformation in der Automobilindustrie haben wollen, muss das Ergebnis auch gute Arbeit sein. Und es zeigt doch vor allem, dass die deutsche Automobilindustrie kein Konzept für die Zukunft hat und überrollt wird. Es ist richtig, batteriebetriebene E-Mobilität wird Bestandteil der Verkehrswende sein müssen. Wir werden bis 2030 den ÖPNV nicht so ausgebaut haben, wie es nötig wäre. Da sind gigantische Investitionen nötig.
Sie wollen den motorisierten Individualverkehr ohnehin reduzieren, dann braucht es nicht mehr viel Industrie.
Es geht um Transformation, nicht um Rückbau. Wenn wir einen massiven Zubau des ÖPNV und des Schienennetzes, wenn wir Kleinbusse haben wollen, um kleine Ortschaften zu versorgen, dann entstehen viele neue Arbeitsplätze. Der sozial-ökologische Umbau, vor dem wir stehen, ist ökonomisch vorteilhaft und schafft mehr Arbeitsplätze in zukunftsfähigen Bereichen als anderswo verloren gehen.
Im Gebäudebereich muss klimafreundlich saniert werden. Die Linke will Mieterinnen und Mieter nicht stärker belasten und fordert ohnehin einen Mietendeckel. Wer soll die notwendigen Investitionen bezahlen?
Für uns ist klar, dass bezahlbares Wohnen und Klimaschutz kein Gegensatz sind, wenn man es richtig macht. Es gibt genug Beispiele für gelungene warmmietenneutrale Sanierungen, besonders beim genossenschaftlichen und gemeinwohlorientierten Wohnen. Im ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung war auch ein staatliches Programm für die energetische Gebäudesanierung in Regionen mit vielen einkommensschwachen Haushalten vorgesehen. Das wurde gestrichen, weil – wie uns Herr Altmaier sagte – die sozialgerechte Sanierung keine Priorität habe und die Schuldenbremse wichtiger sei. Die Schuldenbremse muss weg, und wir müssen über eine sozial-ökologische Steuerreform reden, um solche Klimaschutzmaßnahmen zu unterstützen.
Als nächstes steht der Kohleausstieg an. Im Wirtschaftsministerium will man offenbar auf Freiwilligkeit beim Abschalten von Kraftwerken setzen. Wie beurteilen Sie diese Überlegungen?
Schon den Kohlekompromiss ging uns nicht weit genug, Deutschland ist der viertgrößte Klimasünder weltweit, wir müssen und können einen Kohleausstieg bis 2030 schaffen. Geld für den Strukturwandel ist genug da. Die Politik muss klare Entscheidungen treffen. Wir müssten sofort die dreckigsten 20 Braunkohlemeiler abschalten. Das wäre laut Bundesnetzagentur möglich, ohne dass eine einzige Glühbirne flackert. Auf der anderen Seite müssten die Erneuerbaren massiv und viel schneller ausgebaut werden. Aber die Bundesregierung bremst und tut das Gegenteil.
Es gibt Kritik an Vertretern von „Fridays For Future“ und „Extinction Rebellion“, weil diese auch die sogenannte Systemfrage stellten. Von dieser Perspektive mal überspitzt gefragt: Gibt es für Sie guten Klimaschutz im falschen System?
Dank der Klimabewegung wird wieder darüber geredet, wie man bewusst Gesellschaft gestalten, wie man global zu einer solidarischen klimagerechten Gesellschaft kommen kann. Der Slogan „System change, not climate change“ sagt ja nicht, wie das genau gehen könnte. Aber es ist für mich ein Bruch mit dem neoliberalen Dogma der Alternativlosigkeit. Das Durchregieren globaler Konzerne, die Profit über Klima, Natur und Menschlichkeit stellen, muss ein Ende haben. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir als Linke für einen demokratischen Sozialismus eintreten. Darüber zu diskutieren, ist angesichts der Frage der Klimagerechtigkeit wieder aktuell geworden – und das ist gut so.
Lorenz Gösta Beutin (Die Linke), klima- und energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion, sitzt seit 2017 im Bundestag.