Habt ihr auch schon Flugscham?

Letzte Woche saß ich mit Freund*innen an der Spree und habe überlegt, wie ich Euch berichte, dass ich in New York an der Konferenz über die Nachhaltigkeits-Ziele der Vereinten Nationen teilnehmen werde (zu den Inhalten später mehr). Warum? In New York bin ich Teil der deutschen Delegation, als LINKER. Ich habe dort die Möglichkeit, Menschen aus der ganzen Welt zu treffen, die sich für Klimagerechtigkeit starkmachen. Diese Konferenz ist genauso wie die Weltklimagipfel eine Gelegenheit, dass sich die globale Klimabewegung vernetzt, dass man Erfahrungen und Wissen austauscht. Früher hätte ich vielleicht nicht darüber nachgedacht, dass es ein Problem sein könnte, wie ich da hinkomme.

Doch die aktuellen Debatten haben einiges ausgelöst, und deshalb finde ich eine Reflektion darüber wichtig:

Mittlerweile spricht man ja generell von „Flugscham“. Aber auch wenn ich es notwendig finde, das eigene Verhalten zu ändern – den Begriff halte ich für falsch und als Linke sollten wir uns davon verabschieden. Ich erkläre Euch, warum ich zu dem Schluss gekommen bin:

1. Neoliberalismus lebt vom Glauben, der Markt werde schon alles regeln. Deshalb sehe ich bspw. die Fokussierung auf die CO2-Steuer so kritisch: Sie kann eine begleitende Maßnahme sein, sie ist aber nicht sie eierlegende Wollmilchsau und ersetzt kein politisches Handeln. Das wird auch bei der Verteuerung von Kerosin nicht funktionieren. Es hätte eher die Folge, dass sich Menschen mit geringem Einkommen gar keine Flugreisen mehr leisten können, Reiche aber fröhlich weiter Woche für Woche durch Deutschland oder um die Welt jetten können. Stattdessen braucht es klare Regeln (etwa das Verbot von Inlandsflügen), vor allem aber Alternativen: Eine Bahn für alle, die gut und günstig ist (Stichwort: kein Ticket über 50 EUR). Und für die Flüge, die nicht vermeidbar sind, andere Antriebsstoffe, die Schadstoffausstoß minimieren. Auch da gibt es bereits Entwicklungen.

2. Der Glaube, das Individuum allein könne den Klimawandel stoppen, ist falsch. Ja, es gibt eine moralische Verantwortung und die Pflicht, das eigene Verhalten zu überdenken. Aber der Fehler liegt im System, in einer Ökonomie, die auf Wegwerfen und Profit basiert, deren Kern globale Ausbeutung von Mensch, Tier, Natur und Klima ist. Deshalb bringt es nichts, wenn wir uns aufs individuelle Wohlverhalten zurückwerfen lassen. Den Kapitalismus grün anpinseln, wird nicht reichen. Wir müssen uns zusammenschließen, sagen, was notwendig ist und Politik und Wirtschaft vor uns hertreiben. Gemeinsam müssen wir um grundlegende Änderungen kämpfen.

3. Fliegen erschließt andere Erdteile, andere Gesellschaften. Es ermöglicht Menschen, ihre Familien zu besuchen, wenn sie weit entfernt liegen. Ganz persönlich: Es ermöglicht mir und hat mir in den letzten Monaten ermöglicht, mit widerständigen Bewegungen aus der ganzen Welt in Verbindung zu treten, am Weltsozialforum und der Konferenz zu „Just Transition“ in Kanada teilzunehmen. Und mal ehrlich? Wollen wir den bad guys auf diesen Konferenzen, beim Weltklimagipfel oder jetzt bei den Verhandlungen über die Nachhaltigkeits-Ziele das Feld überlassen? Denen, die das Klima oder soziale Gerechtigkeit nicht interessiert, die den status quo aufrechterhalten?

 

Ich werde Euch also berichten, wie es in New York ist und freue mich auch über Euer Feedback zu meinen Gedanken hier. Und natürlich, ich werde meine CO2-Emissionen kompensieren, und mein Urlaub danach findet dann mit der Bahn statt.